Archiv der Kategorie: Neue Mobilitätskonzepte

Hier werden neue Ideen, Konzepte und praktische Umsetzungen moderner Mobilitätsformen vorgestellt.

Wunderbares Interview mit dem Wiener Verkehrspionier Hermann Knoflacher

Knoflacher: Das Auto ist in den tiefsten Ebenen des Stammhirns bei den Menschen verankert. Der Mensch sieht die Welt nicht mehr so, wie er sie gesehen hat, bevor es das Auto gab. Er sieht die Welt so, wie es das Auto haben möchte. Sonst würde es draußen nicht so ausschauen. Für jemanden, der sich von der Abhängigkeit des Autos befreit hat, ist es unerträglich, was im öffentlichen Raum passiert – vor allem für Kinder. Die werden in Wien in Käfigen gehalten, wo sie spielen dürfen, und die Autos fahren um sie herum. Das ist völlig absurd, aber verständlich, wenn man bedenkt, wie tief verankert das Auto bei den Menschen ist. Gehandelt wird im Interesse des Autos.

Das Auto ist wie ein Virus. Das heißt: Es lässt den Menschen arbeiten, damit er das Auto kauft, die Umwelt damit schon bei der Herstellung zerstört und später beim Fahren. Das wird alles akzeptiert. Die Menschen bekommen das nicht mit. Sie denken, sie wären die Meister des Autos, dabei ist das Auto der Meister der Menschen. Wenn sie im Auto sitzen, dann denken sie nicht mehr an ihr Umfeld. Sie denken an den nächsten Parkplatz. Sie werden vom Auto manipuliert.

Hier gehts zum vollständigen Interview

Lasst uns in eine umwelt- und klimafreundliche Mobilität investieren

In einer fast schon unverschämten Manier fordern die Cheflobbyistin der Automobilindustrie, Hildegard Müller, sowie VW-Chef Dries eine Prämie für den Kauf von Neuwagen. Auch die Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Bayerns und Niedersachens blasen in das gleiche Horn. Dabei sollen nicht nur Elektrofahrzeuge sondern auch die nicht gerade umweltfreundlichen Plug-In-Hybriden sowie schadstoffarme Benziner gefördert werden.

Man muss sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Nachdem die Automobilindustrie jahrelang ihre Kunden bei den Abgaswerten belogen hat und immer noch nicht bereit ist, für den Schaden aufzukommen, nachdem sie über Jahrzehnte die Entwicklung umweltschonender Elektrofahrzeuge verschlafen hat und statt umweltschonender Autos immer leistungsfähigere und größere Benziner vermarktet, soll jetzt die Allgemeinheit erneut Milliardensummen locker machen und damit die Profite der Autobosse und ihrer Aktionäre absichern. Und was ist das Argument: Arbeitsplatzsicherung und das Ankurbeln der Wirtschaft, weil das Anwerfen der Autoproduktion nach Corona angeblich Startmotor für die ganze Wirtschaft sei.

Und unser Minister für Verkehr und gesunden Menschenverstand, Andreas Scheuer, möchte die Wirtschaft mit der zügigen Umsetzung von großen Straßenbauprojekten ankurbeln.

Statt jetzt Milliarden in die Förderung einer veralteten Technologie zu investieren, die Umwelt, Klima, Gesundheit und öffentlichen Raum schädigt, sollten die Millarden jetzt dafür genutzt werden, die fällige Mobilitätswende voranzubringen. Aus unserer Sicht bedeutet dies:

  • Förderung der Bahn und Ausbau ihres Angebotes zu guter Qualität und günstigen Preisen. Statt in Straßen sollte in neue Schienentrassen und Züge investiert werden und stillgelegte Trassen reaktiviert werden. Der Güterverkehr muss wieder verstärkt durch die Bahn und nicht durch den LkW abgewickelt werden.
  • Konsequenter Ausbau des ÖPNV sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.
  • Förderung des Radverkehrs durch Aufbau von sicheren und gut verzweigten Radnetzen und Radschnellwegen.
  •  Zurückeroberung des  öffentlichen Raums durch die Menschen. Statt Autos und Straßen wollen wir Geschäfte, Cafes, Spielplätze, Begegnungsräume, Parks und autofreie Marktplätze.
  • Stop der Planung und des Baus neuer Autobahnen und Schnellstraßen und gründliche Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes ausgerichtet auf den Zielen einer umwelt- und klimafreundlichen Mobilität.
  • Ausbau des Netzes von Elektroladestationen für E-Autos und E-Bikes.
  • Statt Kaufprämien fordern wir Prämien und Steuervergünstigungen für den Umstieg auf umweltfreundliche Mobilität. Wer sein Auto abmeldet kann z.B. für eine bestimmte Zeit den ÖPNV kostenlos nutzen (Beispiel Heidelberg). ÖPNV-Tickets sollten deutlich billiger werden und wir müssen ein Programm starten, mit dem es möglich ist, im gesamten ÖPNV-Netzt der Bundesrepublik mit einem Ticket zu fahren.

Mit diesen Maßnahmen, kann die Wirtschaft einen deutlichen Impuls bekommen, viele Arbeitsplätze erhalten und neu geschaffen  werden und das Land für eine klima- und umweltfreundliche Zukunft aufgestellt werden.

Ride-Pooling-Dienste: Jung, flexibel, umweltfreundlich

Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)  zeigt, dass Ride-Pooling gerade bei jungen Leuten immer beliebter wird und ein Teil einer modernen Verkehrsinfrastruktur helfen kann, die Autolast zu senken. Ride-Pooling funktioniert ähnlich wie der Taxidienst, nur dass bei einer Fahrt auch weitere Fahrgäste aufgenommen werden und damit die Fahrtkosten gesenkt werden können. Ride-Pooling ist damit in der Lage, das ÖPNV-zu ergänzen zu ergänzen. Viele junge Leute können sich vorstellen, damit auf ein eigenes Auto zu verzichten.
Ride-Pooling als Baustein einer Verkehrswende

Ride-Pooling-Dienste und ihre Bedeutung für den Verkehr. Nachfragemuster und Nutzungsmotive am Beispiel von ‚CleverShuttle‘

Wer Straßen sät wird Verkehr ernten – es stimmt!

Ja es stimmt. Sogar wissenschaftlich anhand einer umfassenden Studie im Jahre 2009 durch die zwei amerikanische Professoren Duranton und Turner anhand umfassender Verkehrsdaten aus den USA nachgewiesen. Sie konnten feststellen, dass  die Summe der zurückgelegten Kilometer proportional zu den vorhandenen Highway-Kilometern ist. Je mehr Straßen gebaut werden, um so mehr nimmt der Verkehr zu. Als Ursache hierfür identifizierten sie drei Gründe: Die Zunahme an Fahrten bisheriger Verkehrsteilnehmer, die Zunahme an verkehrsabhängigen Produktionsaktivitäten und eine Zunahme an  von ausserhalb einströmendem Verkehr. Sie schlossen daraus, dass der Bau zusätzlicher Straßen keine Staus verhindert und nannten dies  „Das fundamentale Staugesetz“. Schade, dass es in der deutschen Verkehrspolitik noch nicht angekommen ist.

Hier ein  Übersichtsartikel im Handelsblatt.

Originalveröffentlichung in Englisch hier.

Besuch in Pfaffenhofen

Der Landesarbeitskreis Verkehr des BN besuchte am 30.11.2019 die Gemeinde Pfaffenhofen an der Ilm, um sich von Bürgermeister Herker die Vorhaben der Gemeinde zur Verkehrsregelung erläutern zu lassen. Der Verein AKO war mit vier seiner Mitglieder dabei.

Pfaffenhofen a.d.I. ist die Kreisstadt des Landkreises Pfaffenhofen, der an Ingolstadt mit Audi grenzt. Die Stadt hat ca. 26.000 Einwohner. Dazu gehören 12 ehemals selbständige Gemeinden. Somit ist die Gemeindefläche relativ groß.

Durch die Lage zwischen Audi im Norden und BMW im Süden sind die Bewohner traditionell sehr der Autobenutzung zugetan. Der Stadtrat versucht, den überbordenden Kraftfahrzeugverkehr in den Griff zu bekommen. Sie nimmt an einem Modellversuch der Bundesregierung teil, der klären soll, ob die Nutzung des ÖPNV durch Preisanreize verbessert werden kann.

Aus den bereits vorhandenen Buslinien wurden 8 Stadtbuslinien geschaffen, die derzeit kostenlos benutzt werden können. Die Busse fahren im 5 bis 2 Minutentakt. Bürgermeister Herker hält den Versuch für einen Erfolg. Die Fahrgastzahl hat sich von 1000 Teilnehmern täglich auf 2300 täglich verdoppelt. Trotzdem sind die Parkplätze für Pendler am Bahnhof weiterhin überfüllt, und die halbleeren Busse stehen im gleichen Stau wie die Autofahrer. Nach Einschätzung des Bürgermeisters rekrutieren sich die Busnutzer eher aus Fußgängern, die jetzt lieber fahren neben Radfahrern, die sich zu sehr von Autos bedrängt fühlen. Autofahrer fahren konsequent weiterhin mit dem Auto, auch wenn sie, Zitat, „An einer Bushaltestelle wohnen“.

Für die entlegeneren oder kleineren Ortsteile gibt es einen Rufbus, der stündlich mit ¼ -stündlicher Voranmeldung genutzt werden kann. Er kosten den Fahrgast 1,50€, die Gemeinde kostet die Fahrt durchschnittlich 35,00€

Kosten der gesamten Maßnahme 1,1 Mio €/Jahr.

Daher entwickelt die Gemeinde kontinuierlich weitere Maßnahmen der steuernden Verkehrsbeeinflussung. Es werden immer mehr Straßen als Fußgängerzonen gewidmet, Einbahnstraßen eingerichtet und Verkehrskreisel an engen Straßenkreuzungen eingerichtet, die gleichzeitig das Durchkommen der Busse verbessern. Der Bürgermeister nennt sie ganz ungeniert „Verkehrverhinderungskreisel“. Sie zielen darauf, die Geschwindigkeit der KFZ zu verringern, indem die Sichtachsen verengt werden. Auch werden die Parkmöglichkeiten in der Stadtfläche verringert. So ist der Hauptplatz, der wie in vielen bayerischen Straßensiedlungen zwischen Rathaus und Stadtkirche eine große Fläche darstellt, fast völlig von Parkplätzen befreit. Statt dessen befindet sich dort zentral ein Spielplatz und rund herum große Flächen für Märkte und Events, das auch sehr gut angenommen wird. Der Bürgermeister erklärt, dass die Menschen auch von außerhalb jetzt eher in die Stadt kommen um zu essen und etwas zu erleben und dabei nebenher einkaufen, statt dass sie wegen der Einkäufe kommen. Er erklärt diesen Umbau zum Erfolg, indem er darauf verweist, dass der Umsatz des Innenstadtgewerbes in Fürstenfeldbruck in den letzten 10 Jahren -30% betragen habe, in Dachau -40% und in Pfaffenhofen -1%.

Es gibt Parkhäuser in der Stadt, die aber nicht zu 100% ausgelastet sind. Teile davon sind privat. Die Stadt will das kommunale Parkhaus abgeben und Neubauten nur von Privatinvestitionen zulassen. Das führt wohl automatisch zu Kostensteigerungen beim Parkplatzwesen. Der Bürgermeister weißt darauf hin, dass öffentlicher Grund zum Parken zu wertvoll sei.

Für die Verkehrsteuerung hat sich der Gemeinderat einstimmig auf einen Verkehrsentwicklungsplan geeinigt, der jetzt gemeinsam verfolgt wird. Das Ziel ist, den Individualverkehr mit Autos im Stadtgebiet zu reduzieren. Trotz des bisherigen Erfolges und des von allen Seiten eintreffenden Lobes für die gelungene Stadtentwicklung gibt Herr Herker schmunzeln zu, dass besonders die Schaffung des Kreisverkehrs den größten bisherigen „shitstorm“ ausgelöst hat.

Herr Herker erläuterte, dass die Maßnahmen in Zusammenhang mit der Energieversorgung stehen. Durch eine Rückführung der Stadtwerke in die mehrheitlich öffentliche Hand konnten die Gewinne verbessert und für die Finanzierung des Bussystems genutzt werden, das Bewusstsein für Klimaschutz verstärkt werden und Entscheidungen im Sinne der Bürger und der Umwelt getroffen werden. Der CO2-Ausstoss pro Bürger liegt in Pfaffenhofen jetzt schon an bayrischer Spitze. Auch im internationalen Vergleich steht Pfaffenhofen an der Spitze in Sachen Nachhaltigkeit. Durch Auszeichnungen der  „International Awards for Liveable Communities“ und „Environmental best practice“ darf sich Pfaffenhofen daher nicht nur als ausgezeichnete „Lebenswerteste Stadt der Welt“ sondern auch als „Stadt der Nachhaltigkeit“ für die entsprechende Stadtgrößenkategorie bezeichnen.

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Nach der Führung durch den Bürgermeister wurde im Tagungshotel weiter getagt. Bei der kurzen Vorstellung der Teilnehmer berichtete der Teilnehmer, der mit dem Widerstand gegen die Isentalautobahn vertraut war, dass die Lärmemmission, die von der Straße ausgehe, überraschend hoch sei, obwohl auch darauf warnend hingewiesen worden sei. Die Belästigung sei dermaßen hoch, dass die CSU-Bürgermeister der betroffenen Gemeinden gemeinsam eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/Std für PKW und von 60 km/Std für Lastwagen gefordert hätten.

Es wird angenommen, dass die Forderung nur bis zur Kommunalwahl relevant ist. Die Autobahnverwaltung erklärt zur Lärmemmision, dass alle Regelungen aus dem BImschG eingehalten worden seien. Die Versammlung war sich einig, dass die Vorschriften unzureichend sind. Das gilt für praktisch alle Straßenneubauten in Siedlungsnähe.

Weiter wurde ein Vortrag gehalten, der sich mit der Finanzierung des ÖPNV beschäftigt. Es wurde deutlich gemacht, dass die allgemeine Finanzierung des ÖPNV ein undurchsichtiges System ist. In Bayern stehen jährlich 800 Mio € zur Förderung von ÖPNV zur Verfügung, die sich auf 36 Verkehrsverbände verteilt. Es wird vorgeschlagen, die auf 3-5 zusammenzufassen. Es muss für mehr Transparenz gesorgt werden, um nicht durch versteckte gewinnorientierten Einzelinteressen falsche Entscheidungen zu treffen.

Privatinteressen führen zu Konkurrenz über die Kosten, und führt i.d.R. zur Reduktion von Qualität. Es sei also eine Hauptforderung, den ÖPNV wieder als staatliche Daseinsfürsorge zu verstehen und entsprechend zu finanzieren und zu gestalten.

Fazit:

  1. Das Konzept „fahrscheinloser ÖPNV“ wird angenommen, reduziert aber nicht den Autoverkehr in erwarteter Weise. Das geschieht erst dann, wenn gleichzeitig die Situation für den Autoverkehr verändert wird. Mit geeigneten Maßnahmen entsteht kein Nachteil für das örtliche Gewerbe bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensqualität und der Attraktivität der Stadt. In Pfaffenhofen entstand dadurch sogar ein Gewinn für den Handel.
  2. Eingriffe in den Verkehrsfluss, Reduktion von öffentlichen Parkplätzen und Fußgängerzonen sind eine geeignete Maßnahme, den Verkehr so zu beeinflussen, dass Autoverkehr unterbunden wird ohne das bei geeigneten alternativen Verkehrsangeboten der örtliche Handel benachteiligt wird.
  3. Es ist nicht sinnvoll, den ÖPNV als wirtschaftlich Ertrag bringendes Unternehmen zu führen. Er soll als staatliche Daseinsfürsorge mit ausreichender Funktionalität versehen werden.
  4. Eine Grundlage für die Steuerung der Maßnahmen und der Finanzierung wurde die Übernahme einer Mehrheit an den Stadtwerken.